Wie wichtig ist die Zufriedenheitsformel? oder Wie Arbeitgebern Top-Talente durch die Lappen gehen

Hand hält magisches Wasser
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Es gibt tatsächlich noch Zeugnisleser, die sich lediglich die Zufriedenheitsformel zu Gemüte führen, allenfalls noch die Schlussformulierung lesen, um dann zu entscheiden: weiter im Bewerbungsprozess oder nicht? Es stimmt, dass diese beiden Aussagen im Zeugnis die gewichtigsten sind. Jedoch wäre es nicht nur äußerst kurz gegriffen, sondern spräche geradezu von kläglichem Urteilsvermögen, diesem einen Satz eine zu hohe Bedeutung beizumessen. Warum?

Folgende Sätze bekomme ich von Arbeitgebern zu hören, wenn es um die Frage geht, warum kein „sehr gut“ in Form der „stets vollsten Zufriedenheit“ vergeben wurde:

  • „Das ist doch grammatikalischer Unsinn!“ (rechtlich eindeutig geklärt: für eine Note 1 muss der Satz genau so formuliert sein)
  • „Eine 1 kriegen bei uns wirklich nur die Überflieger.“
  • „Wir verstehen uns eher als Understater und tragen grundsätzlich nicht dick auf.“
  • „Das Zeugnis wirkt doch dann unglaubwürdig, wenn alles sehr gut ist.“
  • „Ich kenne xy ja gar nicht gut genug, um das wirklich beurteilen zu können.“

Umgekehrt gibt es etliche Fälle, in denen ohne großes Nachdenken eine Note 1 vergeben wurde:

  • Man will jegliche Diskussionen vermeiden.
  • Der Arbeitgeber hat (z.B. bei einem Aufhebungsverfahren) die Auflage bekommen, ein Zeugnis mit der Note sehr gut auszustellen.
  • Der/Die Zeugnisempfänger:in durfte das Zeugnis selbst schreiben.

Was sagt also eine Note 1 in der Zufriedenheitsformel über den oder die zu Beurteilende(n) aus? Genau: erstmal noch gar nichts. 

Hier kommt stattdessen ein Prinzip zum Tragen, das für Arbeitszeugnisse generell gilt: die Kontextabhängigkeit. Heißt, dass die unmittelbare Zeugnisumgebung für eine Beurteilung bzw. Übersetzung dieser mit herangezogen werden muss. Erst im Zusammenspiel mit den Einzelbeurteilungen ergibt sich ein umfassendes Bild des Menschen, der in dem Dokument beurteilt wurde. Die alleinige Note der Zufriedenheitsformel dagegen ist ungefähr so aussagekräftig wie die der einstigen Deutschschulaufgabe: Bei dem einen Lehrer gab es die Note 4, während die nächste Lehrerin von den Aufsätzen begeistert war ...
Doch woher kommt diese Reduzierung auf diesen einzigen Satz? Die Ursachen sind leicht nachzuvollziehen: Die Zufriedenheitsformel ist streng verklausuliert und deshalb auch von Laien perfekt zu entschlüsseln. Für die „Übersetzung“ der restlichen Beurteilungen braucht es schon ein wenig Übung, um etwa zwischen der Note 1 und 2 unterscheiden zu können. Das erzeugt Unsicherheit, und man ist froh, nach einem fixen Anker greifen zu können. 

Doch damit schadet man nicht nur dem oder der Beurteilten, der/die in einem unzureichenden Licht gesehen wird. Arbeitgebenden gehen damit auch Top-Talente durch die Lappen, wenn sie ihren Horizont nicht weiten und sich die Mühe machen, den Bedeutungen der restlichen Aussagen nachzuspüren.
Denn bei aller Diskussion um Arbeitszeugnisse darf man nicht vergessen, dass sie – wenn professionell verfasst – ein aussagekräftiges und wertvolles Instrument für die Personalauswahl darstellen. Man muss sie nur richtig lesen können.